Wirksame Intervention gegen Kinder- und Jugendkriminalität

Zustand

Entgegen dem Trend einer leicht abnehmenden Gesamtkriminalität nehmen sowohl der Anteil der Gewaltdelikte als auch die Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren deutlich zu. Kinder und Jugendliche sind nicht nur Täter, sondern vor allem auch überdurchschnittlich oft Opfer von Jugendgewalttaten.

Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielschichtig. Im Regelfall ist ein sozial schwaches und bildungsfernes Umfeld der Kinder und Jugendlichen ein Indikator. Neue Erkenntnisse des Kriminologischen Instituts Niedersachsen e.V. legen auch einen Zusammenhang zwischen Nationalität und Herkunft und der Gewaltneigung junger Menschen nahe.

Erst seit einigen Jahren ist es in der Berliner Justiz allgemein akzeptiert, dass Jugendkriminalität einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf. Beispielhaft dafür sind die „Intensiv- und Schwellentäterkonzepte“ der Staatsanwaltschaft. Gleichwohl besteht noch erheblicher Optimierungsbedarf. Gerade bei der Bekämpfung der Kinderdelinquenz sind bisher keine Verbesserungsansätze ersichtlich. Eine Vernetzung der Jugendämter mit den Strafverfolgungsbehörden erfolgt nur punktuell und lässt damit keine systematische Betreuung auffälliger Kinder und Jugendlicher sowie ihrer Erziehungsberechtigten zu.

Unsere liberalen Grundsätze

Die Gewaltfreiheit stellt eine zentrale Voraussetzung einer funktionierenden Gesellschaftsordnung dar. Der Staat ist daher als Träger des Gewaltmonopols gehalten zu gewährleisten, dass junge Menschen in einem möglichst gewaltfreien Umfeld aufwachsen können.

Kindern und Jugendlichen, die gegen die Rechtsordnung verstoßen, müssen einerseits schnell und konsequent Grenzen aufgezeigt werden, andererseits aber müssen ihnen und ihren Erziehungsberechtigten wirksame Hilfen für eine erfolgreiche Teilnahme am Gemeinwesen ohne Straftaten zuteil werden.

Unsere Ziele

Ziel liberaler Innen- und Justizpolitik muss es sein, die Kinder- und Jugendkriminalität signifikant zurückzuführen. Wir wollen allen jungen Menschen – unabhängig von ethnischer Herkunft und sozialer Situation – die Chance eröffnen, an einem legalen und selbstbestimmten gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.

Welche Maßnahmen wir umsetzen wollen

Polizeiliche und gesellschaftliche Präventionsbemühungen verstärken

Prävention ist gegenüber Intervention und Repression vorrangig, da die Prävention spätere Delikte und sich daraus ergebende gesellschaftliche Folgen und Folgekosten verhütet.

Die polizeilichen Primärpräventionsangebote sind daher besonders in sozialen Brennpunkten zu verstärken. Dazu gehören vermehrte Besuche der polizeilichen Präventionsbeauftragten an Schulen, gemeinsame Projekte von Schülern und der Polizei, gemeinsame Streifen von Polizeibeamten mit Jugendlichen und Präventions- und Kooperationsvereinbarungen zwischen der Polizei und Einrichtungen.

Gezielte Informationsangebote sollen darüber hinaus dazu beitragen, bürgerschaftliches Engagement im Bereich der Primärprävention (z.B. „Sport-gegen-Gewalt“-Kampagnen, Freizeitangebote etc.) zu erleichtern. Der Senat soll eine Kampagne ins Leben rufen, die Möglichkeiten eines bürgerschaftlichen Engagements aufzeigt und hierzu aufruft.

Kinderdelinquenz gezielt bekämpfen – staatliche Stellen besser verzahnen

Ein frühzeitiges Eingreifen staatlicher Stellen ist besonders bei kindlichen Ersttätern (unter 14 Jahren) notwendig. Nur wenn schnell und konsequent Grenzen aufgezeigt werden, können „kriminelle Karrieren“ von Anfang an verhindert werden.

Hierzu ist eine Verbindung von Prävention, Intervention, Strafverfolgung und Sozialisierung erforderlich. Die Jugendämter sollen im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten stärker als bisher an der Kriminalitätsbekämpfung mitwirken. Sie sind dazu eng mit Schulen, der Polizei, den Strafverfolgungsbehörden und den Familiengerichten zu verzahnen.

Die Jugendämter müssen künftig über alle von Kindern und Jugendlichen begangenen Delikte unterrichtet werden. Bereits bei Ersttätern sollen die Jugendämter unabhängig von der Schwere der Tat prüfen, ob und inwieweit eine familienunterstützende Intervention nach dem Kinder- und Jugendhilferecht geboten ist. Bei Kindern und Jugendlichen, die wiederholt auffällig werden, sind solche Maßnahmen unbedingt einzuleiten.

Etablierung eines Frühwarnsystems für auffällige Kinder und Jugendliche

Um eine schnelle und wirksame Intervention zu ermöglichen, soll ein regelmäßiger Informationsaustausch zwischen Jugendämtern, Schulen und – je nach Schwere der Tat – auch der Polizei, den Strafverfolgungsbehörden sowie den Familien- und Jugendgerichten stattfinden. Alle an diesem System Beteiligten sollen aus dem dann verfügbaren Gesamtbild die sich für ihren jeweiligen Aufgabenbereich ergebenden adäquaten Schlüsse ziehen.

Für die Fälle, in denen ein Kind oder Jugendlicher droht, in eine „kriminelle Karriere“ abzugleiten, erstellt das Jugendamt einen Sozialisierungsplan, der neben den persönlichen Lebensumständen des Jugendlichen auch dessen bisherige Auffälligkeiten sowie die bisher veranlassten staatlichen Interventionen enthält. Darüber hinaus soll der Sozialisierungsplan den Erziehungs- und Förderbedarf sowie die danach zu ergreifenden Maßnahmen feststellen. Der Bericht soll dem Jugendamt und anderen Stellen als laufende Entscheidungshilfe dienen.

Bessere Evaluierung von Maßnahmen der Jugendämter

Nach dem Kinder- und Jugendhilferecht sind diverse Maßnahmen möglich. Bisher findet eine Evaluierung der Maßnahmen der Jugendämter nicht regelmäßig, insbesondere nicht personenbezogen, statt. Künftig müssen für jede Maßnahme deren Wirksamkeit und die Nachhaltigkeit des erzielten Erfolges in jedem Einzelfall erfasst werden.

Diversionsprogramm „Gelbe Karte“ auflegen

Bei Straftaten jugendlicher Täter soll darauf hingewirkt werden, dass den Betroffenen die Folgen eines fortgesetzten strafrechtlich relevanten Verhaltens deutlich und in pädagogisch verständlicher Form vor Augen geführt werden. Ein Mittel hierzu sind Diversionsverfahren nach den §§ 45 ff. JGG, bei denen Staatsanwaltschaft und Gerichte bei Ersttätern bzw. leichten und mittelschweren Delikten eine Eröffnung des gerichtlichen Strafprozesses unterlassen oder diesen ohne Urteil beenden, um stattdessen mit dem Täter eine Ausgleichsmaßnahme zu vereinbaren. Die im Land Berlin zurzeit angewandten Diversionsverfahren sind nicht ausreichend, da sie vor allem zu lange dauern und nicht alle relevanten Stellen mit einbeziehen.

Daher ist ein Projekt „Gelbe Karte“ zu initiieren: Innerhalb eines Monats nach einer Straftat eines jugendlichen mutmaßlichen Täters soll ein Termin „Gelbe Karte“ stattfinden. Zu diesem Termin sollen die jugendlichen Straftäter – gemeinsam mit ihren Erziehungsberechtigten – vorgeladen werden. Im Termin sollen die Jugendlichen in Anwesenheit der Erziehungsberechtigten von einem Team bestehend aus Staatsanwälten, Polizeibeamten und Vertretern des Jugendamtes angehört werden. Ziel dieses Termins ist es, den Jugendlichen das Unrecht und die möglichen Konsequenzen ihres Handelns schnell und drastisch vor Augen zu führen. An Ort und Stelle soll die Staatsanwaltschaft in enger Abstimmung mit Jugendamt und Polizei über das weitere Vorgehen entscheiden. Bei geeigneten Fällen werden erzieherische Maßnahmen wie zum Beispiel gemeinnützige Arbeiten oder verbindliche Erziehungskurse mit den Erziehungsberechtigten vereinbart. Bei Erfüllung der vereinbarten Maßnahmen wird dem Jugendlichen in Aussicht gestellt, es bei dieser Sanktion bewenden zu lassen und keine Anklage zu erheben. Ist der Betroffene hierzu nicht bereit, wird sofort Anklage zum Jugendrichter erhoben.

Der Begriff „Gelbe Karte“ soll den Warn- und Appellcharakter frühzeitiger Reaktionen verdeutlichen, bevor zu härteren Maßnahmen, also zur „roten Karte“ in Form von Verwarnungen, Erteilung von Auflagen und Jugendarrest (Zuchtmitteln gemäß §§ 13 ff. JGG) oder auch Freiheitsentzug (Jugendstrafe gemäß §§ 17 f. JGG) gegriffen werden muss.

Verfahrensdauer bei Diversionsverfahren verkürzen

Die derzeitigen Diversionsverfahren im Land Berlin dauern im Durchschnitt über vier Monate von der Straftat bis zum Abschluss der Maßnahme. Bei vielen Verfahren ergeben sich folglich wesentlich längere Laufzeiten. Dies ist inakzeptabel, da die Sanktion gerade bei jugendlichen Straftätern „auf dem Fuße“ erfolgen muss, um pädagogische Effekte zu erzielen. Die Laufzeiten sind daher im Rahmen des Projekts „Gelbe Karte“ auf durchschnittlich zwei Monate von der Straftat bis zum Abschluss der Maßnahme zu senken.

„Warnschussarrest“ einführen

Eine nach Jugendstrafrecht verhängte Bewährungsstrafe ist oft nicht geeignet, bei Jugendlichen und Heranwachsenden einen pädagogischen Effekt zu erzielen. Sie empfinden die Bewährungsstrafe als „Freispruch“.

Künftig soll es daher im Jugendstrafrecht möglich sein, die Verhängung einer Bewährungsjugendstrafe mit einem Dauerarrest (bis zu vier Wochen) zu verbinden.