Maßnahmen gegen Antisemitismus in Berlin
Policy Paper des FDP Landesverbands Berlin
I. Ausgangslage: Antisemitismus in Berlin – eine wachsende Bedrohung
Berlin bleibt auch in diesem Jahr ein Hotspot antisemitischer Vorfälle. Laut dem aktuellen Jahresbericht der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS Berlin) wurden 1.203 antisemitische Vorfälle dokumentiert – das entspricht einem täglichen Durchschnitt von über drei Angriffen auf jüdisches Leben, Menschen oder Institutionen in dieser Stadt. Unberücksichtigt bleibt dabei eine hohe Dunkelziffer von Straftaten, die aus Angst, Scham oder Resignation nicht gemeldet werden.
Besonders alarmierend ist:
- die Zunahme an gewalttätigen und gezielten Angriffen, insbesondere im direkten Umfeld jüdischer Einrichtungen.
- die Verlagerung antisemitischer Ideologie in den Alltag, etwa in Schulen, Hochschulen, soziale Medien; Demonstrationen dienen zunehmend als Plattformen für Judenhass.
- die starke Zunahme israelbezogenen Antisemitismus, insbesondere nach dem terroristischen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023.
die Verunsicherung jüdischer Berlinerinnen und Berliner, die zunehmend von Rückzug aus dem öffentlichen Raum berichten.
Die hohe Zahl an Vorfällen dokumentiert nicht nur ein sicherheitspolitisches Problem, sondern eine tiefe gesellschaftliche Herausforderung. Antisemitismus ist kein Randphänomen mehr – er hat sich bis weit in die Mitte der Gesellschaft verlagert.
Dies muss als Versäumnis gerade der Berliner Lands- und Bezirkspolitik benannt werden. Viel zu lange wurde in den letzten 30 Jahren weggesehen und beschwichtigt.
Im Zuge der Eskalationen im Nahost-Konflikt, insbesondere nach dem 7. Oktober 2023, zeigt sich zunehmend eine Verbindung zwischen antiisraelischen Demonstrationen und islamistisch motivierten antisemitischen Parolen und Symbolik in Berlin. Der Jahresbericht von RIAS Berlin dokumentiert, dass sich antisemitische Mobilisierungen islamistisch geprägter Akteurskreise häuften – etwa Kundgebungen mit Hamas-Sprechchören auf dem Potsdamer Platz.
Laut Daten der Berliner Polizei sind im ersten Halbjahr 2024 die politisch motivierten Straftaten aus dem Spektrum „ausländische Ideologien/religiöser Fundamentalismus“ (zu denen islamistischer Antisemitismus zählt) besonders stark angestiegen. In diesem Zeitraum wurden 696 antisemitische Straftaten verzeichnet – im Vergleich zu 172 im Vorjahr – viele davon mit Bezug zum islamistischen Umfeld und Nahost-Konflikt.
II. Unzureichende Maßnahmen des Berliner Senats: Kritik und Handlungsbedarf
Trotz der alarmierenden Zunahme antisemitischer Vorfälle in Berlin bleiben die Reaktionen des schwarz-roten Berliner Senats vollkommen unzureichend und Stückwerk. Wie bei so vielen Vorhaben fehlen klare Konzepte und Führung.
Im Jahr 2024 kam es beispielsweise an Berliner Universitäten zu mehreren antisemitischen Vorfällen, darunter Angriffe auf jüdische Studierende und die Verbreitung antisemitischer Propaganda. Die Reaktion des Senats war bestenfalls zögerlich. Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) sprach sich gegen die Exmatrikulation eines Studenten aus, der einen jüdischen Kommilitonen schwer verletzt hatte, und erließ lediglich ein temporäres Hausverbot. Diese Entscheidung stieß zu Recht auf breite Kritik in der Stadtgesellschaft, unter anderem vom Zentralrat der Juden in Deutschland und von uns Freien Demokraten.
Dass in einigen Bezirken offenbar Trägerstrukturen von kulturellen Einrichtungen öffentliche Mittel erhalten haben, welche im Anschluss mittelbar Antisemitismus gefördert haben (Stichwort „Qyoun“) zeigt ein erschreckendes Maß zumindest an Ignoranz einiger bezirklicher Verwaltungsstrukturen.
Obwohl die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) von Antisemitismus von Deutschland anerkannt wurde, fehlt es in Berlin an einer konsequenten Umsetzung. Dies betrifft insbesondere die Anwendung in Bildungseinrichtungen und bei der Vergabe öffentlicher Mittel. Diese mangelnde Verbindlichkeit erschwert eine effektive Bekämpfung antisemitischer Tendenzen.
Im Januar 2024 kündigte der damalige Kultursenator Joe Chialo (CDU) an, Kulturförderungen an ein Bekenntnis gegen Antisemitismus gemäß der IHRA-Definition zu knüpfen. Nach Protesten aus der Kulturszene setzte er die sogenannte Antidiskriminierungsklausel jedoch wieder aus. Diese Kehrtwende war ein neuerliches Einknicken vor antisemitischen Tendenzen in der Stadt und explizit auch im Kulturbetrieb.
Trotz antisemitischer Äußerungen erhielt die Organisation „Frauenkreise Berlin“ im Jahr 2024 über 200.000 Euro an öffentlichen Fördermitteln. Ein Kommentar der Organisation, in dem Israels Regierung als „faschistisch“ bezeichnet wurde, sorgte für Empörung. Die SPD verhinderte jedoch direkte Konsequenzen, was Fragen zur Förderpraxis des Senats aufwirft.
III. Liberale Verantwortung: Der Kampf gegen Antisemitismus ist Staatsraison
Freie Demokraten stehen uneingeschränkt an der Seite jüdischen Lebens. Der Schutz jüdischer Bürgerinnen und Bürger ist für uns nicht verhandelbar. Jüdisches Leben gehört zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft Berlins.
Deshalb fordern und unterstützen wir ein umfassendes Maßnahmenpaket, das Antisemitismus strukturell, präventiv und repressiv entgegentreten soll. Der öffentliche Raum muss für jüdisches Leben überall in Berlin wieder zurückgewonnen werden; es kann hier keine Kompromisse geben.
IV. Politische Maßnahmen der FDP Berlin gegen Antisemitismus
Wir setzen uns für ein entschlossenes, ganzheitliches Vorgehen gegen Antisemitismus ein. Die folgenden Maßnahmen orientieren sich an einer liberalen Grundhaltung, die Sicherheit, Freiheit, Bildung und Verantwortung miteinander verbindet:
1. Bildung und Aufklärung: Antisemitismus früh erkennen und wirksam begegnen
a) Verpflichtender Besuch einer Gedenkstätte für alle Berliner Schülerinnen und Schüler
Die Konfrontation mit der Geschichte der Shoa ist unverzichtbar. Deshalb fordern wir, dass alle Schulklassen im Rahmen des Geschichts- oder Ethikunterrichts mindestens einmal eine Gedenkstätte wie Sachsenhausen oder das Holocaust-Mahnmal besuchen. Dies soll zur persönlichen Auseinandersetzung mit antisemitischer Gewalt beitragen.
b) Verankerung aktueller Formen von Antisemitismus im Lehrplan
Neben der historischen Aufklärung soll insbesondere israelbezogener Antisemitismus, wie er heute auf Schulhöfen, in sozialen Medien und im politischen Aktivismus auftritt, klar benannt und behandelt werden. Auch die antisemitische Dimension von Verschwörungserzählungen (z. B. zur Corona-Pandemie) ist ausdrücklich zu thematisieren. Auch sollen Projekte wie z.B. "Meet a Jew" aktiver genutzt werden, um den Dialog zu fördern und Vorurteile innerhalb der Gesellschaft, insbesondere in Bezug zu israelbezogenem Antisemitismus, abzubauen. Dafür sollen diese auch in die Ausbildung pädagogischen Personals integriert werden, um ihre Reichweite zu erhöhen.
c) Medienkompetenzunterricht gegen antisemitische Onlineinhalte
Gerade bei Jugendlichen verbreiten sich antisemitische Narrative über TikTok, Instagram oder YouTube. Der verpflichtende Aufbau von Medienkompetenz soll Schülerinnen und Schüler befähigen, antisemitische Inhalte zu erkennen, einzuordnen und abzulehnen.
d) Qualifizierung pädagogischen Personals in Antisemitismusprävention
Lehrkräfte, Sozialarbeiter, Erzieherinnen und Erzieher müssen strukturiert für antisemitische Sprache, Symbole und Übergriffe sensibilisiert werden. Wir fordern, entsprechende Fortbildungsangebote bereits in der Aus- und Weiterbildung sowie eine Anlaufstelle für pädagogisches Personal an Schulen.
e) Erweiterung von Integrationskursen
Integrationskurse müssen die historische Verantwortung Deutschlands gegenüber dem jüdischen Volk sowie die besondere Beziehung zu Israel als Teil deutscher Staatsräson thematisieren. Inhalte zu Antisemitismusprävention und zur Akzeptanz jüdischen Lebens in Deutschland sollen verbindlicher Bestandteil werden.
2. Repression und Sicherheit: Staatlicher Schutz jüdischen Lebens ist unverhandelbar
a) Einführung einer Meldepflicht für antisemitische Vorfälle an öffentlichen Einrichtungen
Antisemitische Vorfälle an Schulen, Universitäten, Behörden oder kommunalen Betrieben sollen verpflichtend an eine zentrale Erfassungsstelle wie RIAS Berlin gemeldet werden. So entsteht ein valideres Lagebild, das Grundlage für Präventions- und Interventionsmaßnahmen ist.
b) Stärkung von RIAS Berlin als zentrale Dokumentations- und Präventionsinstanz
RIAS Berlin soll stärker institutionell gefördert und personell ausgebaut werden, um ihre Aufgaben der Erfassung, Auswertung und Prävention antisemitischer Vorfälle wirksam erfüllen zu können. Zudem soll die Zusammenarbeit mit Schulen, Sicherheitsbehörden und Zivilgesellschaft ausgebaut werden.
c) Fortbildung der Polizei zur Bekämpfung antisemitischer Hasskriminalität
Die Berliner Polizei muss antisemitische Tatmotive – auch wenn sie nicht offen artikuliert werden – sicher erkennen und in Ermittlungen, Strafanzeigen und Berichterstattung berücksichtigen.. Die FDP Berlin fordert hierfür spezielle Module in Aus- und Fortbildung.
d) Erhöhte Polizeipräsenz und Objektschutz für jüdische Einrichtungen
Jüdische Schulen, Synagogen, Kulturzentren und Gemeinden müssen jederzeit verlässlich geschützt sein – insbesondere bei religiösen Feiertagen oder bekannten Eskalationsanlässen. Dies umfasst sowohl den sichtbaren Schutz durch Polizei als auch technische Präventionsmaßnahmen.
e) Konsequente Strafverfolgung und Rechtsdurchsetzung
Antisemitische Beleidigungen, Bedrohungen und Übergriffe müssen mit aller Konsequenz strafrechtlich verfolgt werden – insbesondere unter Anwendung des §130 StGB (Volksverhetzung). Die Berliner Staatsanwaltschaften sollen entsprechend geschult und personell gestärkt werden.
f) Empowerment jüdischen Lebens
Der Kampf gegen Antisemitismus muss von möglichst vielen Akteuren getragen werden. Daher ist die weitergehende Befähigung von jüdischen Institutionen und Nicht-Regierungs-Organisationen für wirkungsstarke Projekte gegen Antisemitismus von hoher Bedeutung.
3. Politischer und gesellschaftlicher Rahmen: Klare Haltung statt Toleranz gegenüber Intoleranz
a) Verbindliche Umsetzung der IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus
Die von Deutschland anerkannte Definition der IHRA soll verbindlich für Landesverwaltung, Polizei, Justiz sowie Bildungs- und Kultureinrichtungen gelten. Dies schafft eine gemeinsame Grundlage für Erkennung, Bewertung und Ahndung antisemitischer Äußerungen.
b) Keine öffentlichen Räume und Mittel für antisemitische Akteure
Organisationen oder Veranstalter, die antisemitische Positionen vertreten oder verbreiten – etwa die BDS-Kampagne –, dürfen weder öffentliche Räume noch Fördermittel erhalten. Das umfasst Veranstaltungen, Kooperationen oder finanzielle Zuschüsse durch Bezirke oder das Land. Bei Vereinigungen wie dem BDS müssen Verbotsverfahren geprüft werden.
c) Entzug der Gemeinnützigkeit bei antisemitischen Bestrebungen
Trägervereine oder Initiativen, die nachweislich antisemitische Inhalte verbreiten oder Veranstaltungen fördern, sollen ihre Gemeinnützigkeit verlieren. Wir fordern eine konsequente Anwendung des Vereinsrechts in diesem Sinne.
d) Verbot von Demonstrationen mit antisemitischem Inhalt oder Aufruf zu Gewalt
Demonstrationen, in denen zur Gewalt gegen Jüdinnen und Juden oder zur Vernichtung Israels aufgerufen wird, müssen verboten werden. Dies gilt auch für antisemitische Symbolik (z. B. Sympathiebekundungen für Hamas oder Samidoun). Berlin soll hier alle rechtsstaatlichen Mittel ausschöpfen. Durch Allgemeinverfügung und erhöhte Polizeipräsenz ist sicherzustellen, dass auch spontane Kundgebungen mit antisemitischem Inhalt, etwa in der Sonnenallee in Neukölln, schnell und entschlossen aufgelöst werden können.
e) Bekenntnis gegen Antisemitismus bei Einbürgerung
Das Existenzrecht des Staates Israel ist und bleibt für uns deutsche Staatsraison. Antisemiten haben kein Anrecht auf die deutsche Staatsangehörigkeit. Das Bekenntnis zum Schutz jüdischen Lebens ist eine Anspruchsvoraussetzung für die Einbürgerung, es ist Aufgabe des Staates dies nicht nur formelhaft abzufragen. Dokumentierte öffentliche antisemitische Bekenntnisse haben eine Grundlage für die Einbürgerungsentscheidung zu sein.
Berlin muss mehr tun, um jüdisches Leben zu schützen. Die FDP Berlin steht für eine klare Haltung: Null Toleranz gegenüber Antisemitismus – in jeder Form und an jedem Ort. Mit diesem Maßnahmenpaket legen wir den Grundstein für eine liberale Hauptstadt, die jüdisches Leben schützt, Vielfalt verteidigt und Hass entschieden bekämpft.