Berlin für Europa – Liberale Impulse für die Zukunft Europas

Nach einer Vielzahl an Krisen in und um Europa ist der Reformbedarf für die Europäische Union groß. Die Konferenz zur Zukunft Europas bietet die Chance über die Tagespolitik und die Krisenbewältigung hinaus konkrete Vorschläge für die Weiterentwicklung der Europäischen Union zu erarbeiten. Nach zwei Jahren Pandemie und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ist die Notwendigkeit dieser Weiterentwicklung gestiegen, aber die Konferenz in den Hintergrund gerückt.

Unser Anspruch an die Zukunftskonferenz

Wir Freien Demokraten haben uns dafür eingesetzt, dass sich die Zukunftskonferenz auf zentrale Politikfelder konzentriert, die für unsere gemeinsame Zukunft langfristig von Relevanz sind, und dafür die Leitlinien, Ziele und Prioritäten definiert. Für uns geht es darum, die EU für die Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit handlungsfähig aufzustellen. Der zunehmend eskalierende Systemwettbewerb zwischen Demokratien und Autokratien genauso wie

Klimawandel, Energieversorgungssicherheit und Pandemien lassen sich nur mit einem gestärkten Europa begegnen. Wir brauchen die EU als einen friedlichen und menschenfreundlichen, marktwirtschaftlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Stabilitätsanker in einem geopolitischen Umfeld, das immer mehr von staatskapitalistischer Unterminierung fairen Wettbewerbes und dem aggressiven Verhalten autokratischer Staaten geprägt wird. Darauf muss die EU mit offener, strategischer Souveränität sowie engerer Zusammenarbeit in der NATO und weiteren demokratischen Staaten reagieren. Der Multilateralismus hat uns in den letzten sieben Jahrzehnten Wohlstand und Stabilität gebracht. Damit dies auch in Zukunft gilt, braucht die EU insgesamt effektivere Strukturen. Für uns ist das Ziel klar:

Wir Freien Demokraten wollen nach Abschluss der Konferenz zur Zukunft Europas einen Verfassungskonvent einberufen. Dieser Konvent sollte einer dezentral und föderal verfassten Union eine rechtsverbindliche Verfassung mit einem Grundrechtekatalog und starken Institutionen geben. Über die neue Europäische Verfassung sollen die Bürgerinnen und Bürger der EU in einer gemeinsamen europäischen Volksabstimmung entscheiden und damit die Grundlage für einen föderal und dezentral verfassten Europäischen Bundesstaat schaffen. Wir sind stolz, dass es im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ein klares Bekenntnis zum Ziel eines europäischen Bundesstaates gibt. Doch auf dem Weg dahin braucht es weitere konkrete Integrationsschritte und Anstrengungen aller politischen Ebenen. Heute einen Werte die Menschen Europas und geben Rückhalt für einen föderalen europäischen Bundesstaat, der die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit organisiert und die Grundrechtecharta zur Grundlage hat.

Von der Zukunftskonferenz in die Europawahl

Damit die dringend benötigten Reformimpulse nicht nur erarbeitet, sondern auch in der Bevölkerung – auch in Präsenz und ohne Maske – diskutiert werden können, sollte die Zukunftskonferenz, wie ursprünglich geplant über zwei Jahre gehen, und bis Herbst 2023 verlängert werden.

Der vertiefte Meinungsbildungsprozess über die bereits erarbeiteten Themenbereiche der Zukunftskonferenz und die intensivere Debatte über die Neupositionierung in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik unserer Union wären dann die Grundlage einer europaweiten Auseinandersetzung über die Zukunft Europas in den Wahlen zum Europäischen Parlament im Frühjahr 2024. Dabei fordern wir insbesondere von der liberalen Parteienfamilie ein klares und entschlossenes Bekenntnis zur Umsetzung der Vorschläge der Zukunftskonferenz abzugeben. Denn so wichtig vielfältige Beteiligungsformate sind, am Ende wird in demokratischen Wahlen entschieden. Die Zukunftskonferenz kann damit ebenfalls einen Beitrag leisten unsere parlamentarische Demokratie zu stärken. Aus diesen Gründen kann der für den 9. Mai 2022 erwartete gemeinsame Bericht der drei EU-Institutionen zur Zukunftskonferenz nur als Zwischenbericht angesehen werden.

Wir Freien Demokraten wollen die Weiterentwicklung der Europäischen Union, auch unabhängig davon, ob die Zukunftskonferenz formell fortgesetzt wird. Wir wollen deshalb in den nächsten Schritten die im Konsens erarbeiteten Vorschläge der Zukunftskonferenz ernstnehmen und in konkrete Politik gießen. Aus diesem Grund fordern wir die erarbeiteten Zukunftsideen folgendermaßen zu prüfen:

  • Umsetzungsmöglichkeit im bestehenden gesetzlichen EU-Vertragsrahmen: Hierzu ermutigen wir die Bundesregierung, wenn nötig, von der Möglichkeit der verstärkten Zusammenarbeit Gebrauch zu machen, um nächste Integrationsschritte machen, um nächste Integrationsschritte anzustoßen.
  • Die Bürgerinnen und Bürger Berlins haben sich in unterschiedlichen Dialogformaten und über digitale Plattformen in den letzten Monaten mit den europäischen Zukunftsfragen beschäftigt. Deshalb fordern wir den Berliner Senat und das Abgeordnetenhaus auf jene Themen aufzugreifen und zu behandeln, die in ihrem Kompetenzbereich liegen.
  • Die Berliner Bezirksverwaltungen sind über die Europabeauftragten eng in die Stadtgesellschaft eingebunden. Die Berlinerinnen und Berliner dürfen über die weitere Entwicklung ihrer Ideen nicht im Unklaren gelassen werden. Den Beteiligungsprozess ohne Feedback an die Bürgerinnen und Bürger zu beenden würde letztendlich Frust und Verdrossenheit erzeugen.

Europäische Städte für europäische Werte

In der verlängerten Zukunftskonferenz sollen Städte und urbane Zentren eine größere Rolle übernehmen. Beide tragen in der EU eine zunehmende Verantwortung für die Gestaltung und Vertiefung der europäischen Integration. Während Menschen in urbanen Zentren in der Öffentlichkeit häufig als entkoppelt vom Rest des Landes dargestellt werden, machen sie einen immer größeren Anteil der Bevölkerung aus. Mit ihren liberalen Werten und freiheitlichen Lebenseinstellungen bilden Großstädte vor allem in Mitgliedsstaaten, in denen Freiheit und Rechtsstaatlichkeit bedroht sind, wichtige Oppositionszentren. In der Vernetzung der urbanen Zentren besteht ein enormes Potential zur Weiterentwicklung der EU. Berlin ist nicht nur eine pulsierende Metropole im Herzen Europas, sondern auch seit über 25 Jahren Mitglied von Eurocities, der größten europäischen Städtevereinigung. Diese Organisation bietet den Rahmen, um urbane Interessen und Ideen in die Zukunftskonferenz einzubringen.

Wir fordern daher:

  • Das Abgeordnetenhaus, der Senat und die Bezirke sollten eine führende Rolle einnehmen, wenn es darum geht, europäische Städte als Verstärker europäischer Werte einzusetzen.
  • Berlin sollte sich mit seinen Partnerstädten Warschau und Budapest für eine gemeinsame Initiative zur Stärkung von Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Demokratie in der EU einsetzen. Beide Städte werden von Bürgermeistern regiert, die sich in Opposition zu ihren euroskeptischen Regierungen befinden.
  • Das Abgeordnetenhaus und der Senat sollten eine gemeinsame Initiative „European capitals for rule of law (ECRL)” unter Beteiligung der Berliner EU-Partnerstädte (Paris, Madrid, Budapest, Prag, Brüssel, Warschau) für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit initiieren, an der sich weitere EU-Hauptstädte beteiligen können.
  • Das Abgeordnetenhaus und der Senat sollten sich darüber hinaus im Rahmen von Eurocities für die Unterstützung der ECRL- Initiative einsetzen.
  • Das Abgeordnetenhaus und der Senat sollten sich mit den Parlamenten der anderen ostdeutschen Bundesländer verstärkt in Bezug auf Europa vernetzen. Zudem soll auch in der Senatspolitik in Bezug auf Europa die gesamte Metropolregion Berlin-Brandenburg stärker berücksichtigt werden.

Europäische Städte für den Wiederaufbau einer freien Ukraine

Immer wieder übernehmen Städte und Metropolen auch in Krisen Verantwortung über ihre Grenzen hinaus. Dieses Engagement kann koordiniert auch einen Beitrag für die Ukraine leisten. Der Krieg in der Ukraine hinterlässt unvorstellbares menschliches Leid, zerstörte Städte, Dörfer und Infrastruktur. In europäischen Städten und Metropolen leisten Ehrenamtliche und Kommunen bereits viel, um geflüchteten Menschen aus der Ukraine zu helfen. Nach dem Ende des Krieges oder zumindest bei einer Befriedung in großen Landesteilen benötigen die Menschen und Kommunen finanzielle und technische Unterstützung beim Wiederaufbau.

Wir fordern die regierende Bürgermeisterin sowie die Senatsverwaltung für Kultur und Europa auf, sich für eine europaweite Kooperationsinitiative für den Wiederaufbau ukrainischer Städte einzusetzen. In dieser Initiative sollen jeweils Gruppen aus mehreren europäischen Hauptstädten die Patenschaft für eine ukrainische Großstadt übernehmen und beim Wiederaufbau mit finanziellen Mitteln und vor allem technischer und personeller Unterstützung aus der Stadt-, Raum- und Infrastrukturplanung, Architektur, Bauingenieurwesen, Verkehr sowie weiteren relevanten Bereichen helfen. Dabei wollen wir auch den Austausch zwischen kommunalen Entscheidungsträgern fördern, um eine aktive städtische und demokratische Zivilgesellschaft in der Ukraine zu unterstützen. Durch das koordinierte Vorgehen wird sichergestellt, dass die Ressourcen auch zielgerichtet an den relevanten Stellen und in benötigter Menge ankommen. Mit einer gemeinsamen Initiative können die Städte und Metropolen der Europäischen Union nicht nur den Wiederaufbau einer freien und europäischen Ukraine unterstützen, sondern deutlich machen, wie effektiv ihre Kooperation auch international sein kann.