Volksentscheid über die Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung

Position und Abstimmungsempfehlung der FDP Berlin zum Volksentscheid über die Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung am 03. November 2013

Vorbemerkungen

Die FDP Berlin begrüßt, dass durch den Volksentscheid am 03. November 2013 den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben wird, über ein wichtiges Thema der öffentlichen Versorgung unserer Stadt zu entscheiden. Wir bitten deshalb die Bürgerinnen und Bürger, am Volksentscheid teilzunehmen.

Für die FDP Berlin ist wichtig, dass in der Energiepolitik Aspekte der Versorgungssicherheit, der Wirtschaftlichkeit und der Umweltfreundlichkeit gleichrangig verfolgt werden.

Finanzielle Mittel des Landes Berlin sollten vorrangig für die Kernaufgaben des Landes ausgegeben werden. Eine Rekommunalisierung von Betrieben der öffentlichen Versorgung birgt das Risiko, dass erhebliche Mittel für die eigentlichen Kernaufgaben der öffentlichen Hand (u.a. Schulen, Kindertagesstätten, Infrastruktur) fehlen.

Stattdessen sollten Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit erhalten, an den Betrieben der öffentlichen Versorgung Anteile zu erwerben. Dadurch würde erreicht, dass die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an Entscheidungen im Bereich der öffentlichen Versorgung auch den finanziellen Rahmen mit erfassen.

Abstimmungsempfehlung

Die FDP Berlin empfiehlt, zum Volksentscheid des Energietisches mit „Nein“ zu stimmen. Der Gesetzentwurf ist nicht geeignet, die vorgetragenen Ziele des Volksentscheids zu erreichen, und verursacht hohe finanzielle Risiken für das Land Berlin.

Begründung

Der Volksentscheid will zwei Betriebe gründen: Ein „Stadtwerk“ und eine „Netzgesellschaft“.

Die Gründung eines „Stadtwerkes“ und einer „Netzgesellschaft“ trägt nicht dazu bei, eine ökologische und dezentrale Energieversorgung oder den Klimaschutz für Berlin voranzubringen.

Die Bürgerinnen und Bürger haben die freie Wahl ihres Stromlieferanten, sie müssen deshalb nicht den Strom abnehmen, der von einem „Stadtwerk Berlin“ erzeugt wird. Die Bürgerinnen und Bürger können aus über 200 Lieferanten wählen, von denen viele jetzt schon ausschließlich „grünen“ Strom anbieten. Die Netzgesellschaft darf auch die Durchleitung von Kohle- oder Atom-Strom nicht behindern und hat deshalb keinen Einfluss darauf, welcher Strom in Berlin verbraucht wird.

Die „Netzgesellschaft“ birgt das Risiko, Verluste zu machen.

Die Vergütung für den Netzbetrieb ist durch gesetzliche Vorgaben (Regulierung) begrenzt. Es ist deshalb keineswegs sicher, dass die Netzgesellschaft Gewinne erwirtschaftet. Wenn der Netzbetrieb nicht effizient arbeitet, erwirtschaftet er Verluste. Diese Verluste müsste dann das Land Berlin tragen. Wenn zusätzliche Investitionen getätigt werden, die nicht von den Regulierungsvorgaben gedeckt sind (z.B. zur gewünschten erleichterten Anbindung erneuerbarer Energien), müssen diese zusätzlich durch weitere Zuschüsse des Landes Berlin finanziert werden.

Das „Stadtwerk“ läuft ebenfalls das Risiko, Verluste zu erwirtschaften.

Das „Stadtwerk“ muss sich mit seinem Angebot am Markt gegenüber mehr als 200 Wettbewerbern durchsetzen, nur dann erwirtschaftet es Gewinne. Wenn Verluste entstehen, muss das Land Berlin diese tragen. Die Vorgaben des Volkentscheids, niedrigere Tarife für sozial Schwache anzubieten und Investitionen in Gebäudesanierung zu unterstützen, belasten das Stadtwerk mit zusätzlichen Kosten. Da andere Kunden im Gegenzug nicht mehr Geld für den Strom bezahlen werden, müsste das Land Berlin Geld zuschießen, um die Verluste aus Sozialtarifen und Investitionszuschüssen auszugleichen.

Das Land Berlin hat hinlänglich bewiesen, dass es als Unternehmer nicht geeignet ist: Wer keinen Flughafenbau organisieren kann, sollte nicht anstreben, die Verantwortung für die Energieversorgung zu übernehmen.

Die Finanzierung eines Netzrückkaufs ist hoch riskant.

Wenn das Land Berlin die Netze kauft, müsste es dafür einen Kaufpreis in Milliardenhöhe (das Land selbst schätzt einen Preis von 2-3 Milliarden €) zahlen. Der Kaufpreis muss zu 100% durch die Aufnahme neuer Schulden finanziert werden. Diese Art der Finanzierung nur über Verschuldung und ohne eigenes Kapital ist in der Wirtschaft zu Recht als eine unseriöse und „turbokapitalistische“ Finanzierungsstrategie verrufen. Die öffentliche Hand sollte sich davon fernhalten, da letztlich die Bürgerinnen und Bürger dafür haften müssen. Berlin hat derzeit schon 63 Milliarden € Schulden und muss darauf jährlich 2,3 Milliarden € Zinsen zahlen. Mögliche Gewinne des Netzbetriebs müssten deshalb auf sehr lange Zeit dazu verwendet werden, die Schulden für den Netzkauf zu tilgen und die Zinsen auf die Kredite zu bezahlen. Etwaige Gewinne fließen also an die Banken, nicht an das Land Berlin, und können nicht für öffentliche Aufgaben verwendet werden.

Wenn die Gewinne der Netzgesellschaft jedoch nicht ausreichen sollten, Tilgung und Zinsen auf die Schulden zu zahlen, muss das Land Berlin Zuschüsse leisten und dafür noch mehr Schulden aufnehmen. Falls außerdem noch die Zinsen steigen, wird die Belastung durch Zinsen immer höher und erzeugt weitere Verluste, die auch wieder das Land Berlin übernehmen müsste.

Anstatt Milliardenbeträge für den Kauf von Kabeln und Umspannwerken auszugeben, sollte das hoch verschuldete Land Berlin seine Mittel besser dazu verwenden, seine marode Infrastruktur wie Schulgebäude, Kindertages­stätten und Straßen instand zu setzen.

Es gibt eine sinnvollere Alternative: Das laufende Konzessionierungs­verfahren sollte genutzt werden, um energiepolitische und ökologische Ziele durchzusetzen.

Derzeit wird die Konzession für den Netzbetrieb neu vergeben. Dabei kann auch der derzeitige Betreiber ausgewechselt werden. Der Volksentscheid hat keinen Einfluss mehr auf das bereits angelaufene Ausschreibungsverfahren. Bei der erneuten Konzessionsvergabe an einen neuen oder den jetzigen Betreiber können diesem wichtige Ziele für die weitere Entwicklung der Berliner Energieversorgung, z. B. Investitions- und Modernisierungs­verpflichtungen, auferlegt werden. Die finanziellen Risiken des Betriebs übernimmt dabei der Betreiber. Dies befreit das Land Berlin von weiteren Risiken. Auf diese Weise können politische Ziele umgesetzt werden, ohne dabei ein hohes finanzielles Risiko für das Land Berlin einzugehen. Die FDP Berlin hält deshalb diesen Ansatz für den geeignetsten Weg, um energiepolitische Ziele für Berlin umzusetzen.