Wege aus dem Lockdown – Wie Berlin gestärkt aus der Krise kommt

Seit Ende Februar stehen die Corona-Pandemie und die staatlichen Bemühungen zu deren Eindämmung im Mittelpunkt von politischen Entscheidungen. Nachdem in den ersten Wochen schnelles Handeln im breiten politischen Konsens im Vordergrund stand, muss unser politisches Wirken sich nun darauf konzentrieren, eine – wenn auch noch eine Zeit lang fragile und teilweise widersprüchliche, aber vor allem lebenswerte – „Normalität“ für unsere Gesellschaft zu erreichen.

Grundlage und Maßstab für alle Entscheidungen müssen dabei die verfassten Grundsätze unserer offenen Gesellschaft sein, welche auch schon vor Corona galten und gerade in der Krise für uns mit großer Selbstverständlichkeit die einzig relevante Richtschnur sein können.

Leben und Gesundheit zu schützen muss immer wesentliches Ziel staatlichen Handelns sein. Gleichwohl kann der Staat keinen absoluten Schutz um jeden Preis leisten. Neben der Covid-19-Pandemie ist unsere Gesellschaft mit einer Vielzahl großer Herausforderungen konfrontiert, denen wir mit unserem politischen Handeln gerecht werden müssen. Grundrechtseinschränkungen als intendierte und nicht-intendierte Folge der Corona-bedingten Beschränkungen müssen im parlamentarischen Diskurs, wenn es sein muss jeden Tag, transparent und öffentlich abgewogen werden mit den Belangen des Infektionsschutzes. Diese Güterabwägung ist nicht einfach und wird nicht frei von Fehlern sein. Sie macht aber den Kern des Politischen in der Krise aus und wird unsere Gesellschaft als Ganzes langfristig prägen.

Dank des verantwortungsvollen Handelns der Berlinerinnern und Berliner haben wir es geschafft, die Ausbreitung des Coronavirus auf einem niedrigen Niveau zu halten. Ob alle ergriffenen Maßnahmen einschließlich des Shutdowns in der jeweiligen Intensität und Ausgestaltung einen tatsächlichen Beitrag für eine Verlangsamung des Infektionsgeschehens gebracht haben, müssen die politischen Vertreter in den nächsten Wochen und Monaten auf der Grundlage von wissenschaftlichen Fakten bewerten. Keine der ergriffenen Maßnahmen war ohne Alternative. Daher ist jede einzelne Maßnahme, und nicht nur deren Gesamtheit, kritisch und auf ihre Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Der vermeintlich einfachste und in der Kommunikation leider oft auch der von den meisten goutierte Weg, unsere Gesellschaft „sicherheitshalber“ möglichst lange und vollständig in intensivster Kontaktbegrenzung zu verhaften, ist weder verfassungsrechtlich zulässig noch politisch erstrebenswert.

Gleichzeitig müssen wir stärker dazu übergehen, das Infektionsgeschehen mit modernen und smarten Methoden einzudämmen. Dazu gehören insbesondere die verstärkte Nutzung digitaler Anwendungen, eine effektive Kontaktverfolgung und eine bessere Datenerhebung sowie verbesserter Datenaustausch der Gesundheits- und Forschungseinrichtungen.

Es ist unser Ziel, den Infektionsschutz mit den wichtigen anderen staatlichen Zielen in Einklang zu bringen. Wir wollen auch und gerade unter herausfordernden Bedingungen einen möglichst hohen Grad an Handlungsfreiheit für die Menschen in unserem Land herstellen. Diese Handlungsfreiheit umfasst dabei persönliche Freiheiten, aber auch das wirtschaftliche Handeln. Es geht uns um die Vertretung der Interessen der Vielen, die heute Freiheit benötigen, damit alle auch morgen noch in Freiheit und Verantwortung in unserem Land leben und die durch das staatliche Handeln begründeten Lasten gemeinsam tragen können.

Lockerungen, wo immer möglich, sind daher folgerichtig, um überhaupt den Einklang zwischen dem Infektionsschutz einerseits und den massiven Freiheitseinschränkungen und der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit unseres Gemeinwesens wiederherzustellen.

Im politischen Diskurs darüber müssen die politisch Verantwortlichen nicht die angestrebten Lockerungen von Freiheitsbeschränkungen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern begründen, sondern die Einschränkung von Freiheitsrechten. Dies gilt auch und gerade im Hinblick auf die Bestimmtheit von Einschränkungen, deren nachvollziehbare Zielsetzung und die Länge der Beeinträchtigungen.

Unser Weg aus dem Lockdown richtet sich nach klaren und nachvollziehbaren Maximen:

:: Wir wollen die Freiheitsgrade der Berlinerinnen und Berliner so schnell wie möglich wieder erhöhen. Wir wollen Einschränkungen und Schutz möglichst auf konkret Betroffene und konkret Gefährdete konzentrieren.

:: Wir wollen allen Menschen eine möglichst schnelle Wiederherstellung ihrer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung ermöglichen. Dazu gehört die Öffnung von Kitas, Schulen und Universitäten unter Herstellung eines angemessenen Infektionsschutzniveaus einerseits und Nutzung der Möglichkeiten der Digitalisierung andererseits.

:: Wir wollen es Unternehmen ermöglichen, so schnell wie möglich ihre Tätigkeit wieder aufzunehmen. Kann ein Unternehmen einen hinreichenden Infektionsschutz gewährleisten, muss die Berufsausübung möglich sein – und zwar unabhängig von der Art des Unternehmens und der Verkaufsfläche.

Den Forderungen von großen Teilen insbesondere der Berliner Landespolitik nach immer mehr staatlichen Leistungen, einer Ausweitung staatlicher Eingriffe oder gar Verstaatlichung wirtschaftlicher Teilbereiche treten wir deutlich entgegen.

Wir müssen an der wirtschaftlichen Gesundung Berlins arbeiten. Ziel muss die Erhaltung bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze sein. Die Finanzämter müssen den Betrieben Lösungen zur Sicherung ihrer Liquidität anbieten. Zudem müssen jetzt die Rahmenbedingungen gesetzt werden, um Unternehmen nach der Krise wieder neues Wachstum zu ermöglichen. Dazu gehören Investitionen in Infrastruktur, deutlicher Bürokratieabbau, steuerliche Entlastungen von Betrieben und eine Entschlackung des Vergaberechts.

Etatistische Ansätze und Systemveränderungsfantasien helfen nicht, sie behindern und schaden uns. Wir sind der Überzeugung, dass wir die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie nur mit marktwirtschaftlichen Instrumenten und privater Initiative werden bewältigen können. Erst unsere soziale Marktwirtschaft hat den Wohlstand geschaffen, der uns heute ein international überdurchschnittliches Gesundheitssystem und eine breit angelegte Krisenhilfe ermöglicht.

Die Corona-Pandemie kam für die allermeisten Unternehmen schockartig und unvorhergesehen. Wir Freien Demokraten sind überzeugt, dass Krisenhilfe für wenige Monate als Liquiditätsbrücke sinnvoll ist, sie kann jedoch nicht dauerhaft eigene Umsätze und nachhaltige Geschäftsaktivitäten ersetzen. Unternehmen müssen die Gelegenheit erhalten, die Zeit von Beschränkungen zu nutzen, um ihre Geschäftstätigkeit an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen.

Eine Daueralimentierung von Unternehmen und auch Arbeitnehmern ohne Beschäftigung als Rechtfertigung für einen möglichst lange Unterbindung von eigenverantwortlicher Wirtschafts- und Gesellschaftsaktivität ist uns fremd. Mit zunehmender Dauer des Stillstands werden die finanziellen, aber auch sozialen Folgeschäden immer größer, der Weg aus dem Lockdown ist überlebensnotwendig.

Kindesmisshandlung, häusliche Gewalt, Verlust an gesellschaftlicher Teilhabe, Vereinsamung, Hunger und Stigmatisierung nehmen zu. In der akuten Krise müssen die Hilfsangebote für besonders benachteiligte oder gefährdete Personen ausgeweitet werden.

Die Zahl der Arbeitssuchenden wird in Folge der nachlassenden gesamtwirtschaftlichen Tätigkeit und Nachfrage kurz- und mittelfristig ansteigen. Zudem müssen bereits heute Beschäftigte ihre Arbeitszeit reduzieren, um den Ausfall der Kinderbetreuung und schulischer Angebote auszugleichen. Die Bezugsbedingungen beim Kurzarbeitergeld zu verbessern, an die Alltagswirklichkeit anzupassen (z.B. durch stundenweise Inanspruchnahme) und die Regeln für Verdienstausfallentschädigung bis zur vollständigen Öffnung der Schulen und Angebote für Kinderbetreuung zu verlängern, ist jetzt dringend geboten. Wir Freien Demokraten zielen darauf ab, dass Menschen möglichst in Unternehmen beschäftigt bleiben. Staatliche Unterstützung kann darum nur eine Überbrückung sein und soll dazu beitragen, Arbeitslosigkeit zu vermeiden.

Gastronomie und Hotellerie sind extrem von den Einschränkungen betroffen. Bei langanhaltenden Schließungen und umfassenden Beschränkungen droht eine Insolvenzwelle. Gerade in Berlin waren Gastronomie und Hotellerie in den vergangenen Jahren wichtige Job-Motoren. Sie verdienen in der aktuellen Krise besondere Unterstützung, weil ein Zurück zur Situation vor der Corona-Pandemie noch nicht absehbar ist. Zuschüsse, die Senkung der Mehrwertsteuer oder die steuerliche Verlustrechnung helfen temporär, ersetzen aber nicht die wirtschaftliche Tätigkeit. Gastronomie und Hotellerie brauchen jetzt eine Perspektive, wann unter welchen Bedingungen ihr Geschäft anlaufen kann. Wir Freien Demokraten wollen Anfang Mai den gastronomischen Außenbetrieb bei vergrößerten Abständen zwischen den Tischen und Begrenzung der Personenanzahl an Tischen ermöglichen. Die Innengastronomie soll spätestens drei Wochen später unter Einhaltung gleicher Regeln folgen, wenn das Infektionsgeschehen weiter auf niedrigem Niveau stagniert. Zum Schutz der Gäste und der Beschäftigten setzen wir auf eine Maskenpflicht für das Personal und möglichst elektronische Bestell- und kontaktlose Bezahlvorgänge.
Das Verbot touristischer Übernachtungen wollen wir beenden. Die Ansteckungsgefahr bei touristischen Übernachtungen kann durch das Einhalten von Hygiene- und Abstandsregeln effektiv reduziert werden.

Südkorea, Taiwan, Island und weitere Länder zeigen, dass leicht zugängliche Corona-Tests für symptombelastete Personen und für Kontaktpersonen von Infizierten, in Verbindung mit einer leistungsfähigen Kontaktverfolgung, die Ausbreitung der Pandemie effektiv begrenzen können. Es ist daher ein schmerzliches Versagen der Bundesregierung, dass Test-Kapazitäten nicht ausgeschöpft werden und die App zur Kontaktverfolgung immer noch nicht an den Start gehen kann. Wir Freien Demokraten sind überzeugt, dass eine Tracing-App nur dann auf breite Akzeptanz in der Bevölkerung stößt, wenn die Nutzung vollständig freiwillig ist, keine zentrale Datenspeicherung erfolgt, die Anonymität der Nutzenden gewahrt bleibt und eine quelloffene Programmierung verwendet wird.

Wir Freien Demokraten begrüßen, dass in Berlin sog. Drive-in-Teststationen eingerichtet wurden. Niederschwellige Test-Angebote sind weiter auszubauen, um die Dunkelziffer der unerkannt Infizierten zu senken. Wir Freien Demokraten fordern, kurzfristig eine repräsentative Stichprobe der Berliner Bevölkerung zu testen, um die tatsächliche Verbreitung der Corona-Pandemie auszuloten. Für Hochrisikogruppen, insbesondere medizinische Fachkräfte, Personal in Alten- und Pflegeheimen und Pflegediensten, Erzieherinnen und Erzieher, wollen wir regelmäßige, symptomunabhängige Tests ermöglichen.

Die grundlegenden Abstands- und Hygieneregeln werden unseren Alltag noch auf längere Sicht prägen. Zugleich ist schon heute festzustellen, dass die tatsächliche Umsetzung in der Bevölkerung stellenweise nachlässt. Wir Freien Demokraten setzen auf eine kontinuierliche Aufklärung, um das Bewusstsein für die Regeln und ihre Verbindlichkeit hoch zu halten. Sollte dies nicht den gewünschten Effekt haben, sollen Regelverstöße stärker als bislang geahndet werden. Schrittweise Lockerungen in Teilbereichen des gesellschaftlichen Lebens dürfen nicht zu Nachlässigkeit in anderen Bereichen führen.

Das zögerliche und unabgestimmte Handeln des Senats zu Beginn der Krise hat viel Zeit gekostet und Berlinerinnen und Berliner verunsichert. Fehlende Schutzausrüstung, unklare Zuständigkeiten, Chaos bei den Abiturprüfungen und den Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss sind nur die augenfälligsten Beispiele. Die Pandemie hat Berlin nicht überraschend, aber trotzdem unvorbereitet getroffen. Wir lassen den Versuch des Relativierens von landespolitischen Verantwortlichkeiten nicht zu. Verantwortliche Politik muss nicht für jede denkbare Krise Musterlösungen parat haben. Sie muss aber im Rahmen der föderalen Aufgabenverteilung in ruhigen Zeiten Abläufe, Verfahren und Prozesse entwickeln und erproben, die im Ernstfall schnelle Entscheidungen auf valider Informationsbasis ermöglichen. In diesem Teamplay versagt der Senat seit Jahren. Berlin braucht klare Zuständigkeiten, gesicherte Informationsflüsse und entschiedenes Handeln von Entscheidungsträgerinnen und -trägern. Haltung und Führungsstärke dürfen für eine Berliner Landesregierung nicht länger als Fremdworte gelten.

„Geht schon, passt schon, reicht schon“ ist der Dreisatz von Rot-rot-grün. Dass diese Leistungsverweigerung schwerwiegende Konsequenzen hat, zeigen die aktuellen Auswirkungen in Berlin. In der selbsternannten Digitalisierungshauptstadt Berlin stehen den 100.000 Beschäftigten der Hauptverwaltung nur 11.500 mobile Endgeräte für Heimarbeit zur Verfügung. Doch selbst wer eines der seltenen Geräte ergattern konnte, war damit im Homeoffice nicht zwingend arbeitsfähig. Denn zeitgleich können nur etwa 2.500 Personen auf das Netzwerk zugreifen. 97,5 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Senatsverwaltungen waren damit über Wochen nicht voll arbeitsfähig – mit verheerenden Folgen für sämtliche Bürgerdienste. Ein ähnlich erschütterndes Bild stellte sich bei den Bezirken und in den Schulen dar. Lippenbekenntnisse über die Bedeutung der Digitalisierung sind nicht genug. Wir brauchen einen auch mit Haushaltsmitteln hinterlegten konkreten Fahrplan für die Digitalisierung unserer Stadt. „Telearbeit“ ist eine Idee der 1980er Jahre. Sie darf in Berlin nicht Zukunftsmusik bleiben.

Wir erwarten vom Senat von Berlin, dass er zweiwöchentlich die SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung anhand der jeweils aktuellen Datenlage auf die Notwendigkeit aller Einzelmaßnahmen prüft und seine Abwägung in Bezug auf ein jeweiliges Weitergelten in einem Bericht an das Abgeordnetenhaus von Berlin darlegt. Das Parlament soll während der Geltungsdauer der Verordnung in jeder Sitzung über diesen Bericht beraten. Dies ermöglicht nicht nur Transparenz hinsichtlich einer Nachvollziehbarkeit einzelner Beschränkungen und des Berliner Infektionsgeschehens, sondern bietet auch fachliche und vertiefte Grundlagen für Abwägungsentscheidungen des Parlaments und der Gerichtsbarkeit.

Wir fordern die Einsetzung eines Sonderausschusses im Abgeordnetenhaus nach der politischen Sommerpause, welcher

:: ➔ die Versäumnisse des Senats vor und in der Krise bewertet und
:: ➔ Vorschläge für eine zukünftige Risikovorsorge in Landesverantwortung unterbereitet.

Liberale Politik vertraut den Menschen. Wir sehen zuerst die Chancen statt uns hinter einem „sowas haben wir noch nie gemacht“ zu verstecken. Mit unseren Konzepten, die wir seit Jahren im politischen Raum und in der Gesellschaft vertreten, wäre Berlin besser durch die Krise gekommen, beispielhaft treten wir dafür ein,

  • digitale Services der Ämter rasch mit dem Ziel einer völligen digitalen Verwaltung auszuweiten;
  • dass allen Bediensteten der Landesregierung eine App zur Verfügung gestellt wird, mit der von überall per Notebook, Smartphone oder Tablet konferiert und per Video telefoniert werden kann;
  • zur Eindämmung von Falschmeldungen/Fake News verifizierte Informationen zu Corona an Bürgerinnen und Bürger über einen automatischen Messengerservice ausgespielt werden;
  • über das CityLab Berlin Berliner Startups in die Bewältigung der Corona-Krise in allen Gebieten direkt einzubinden. Projektbezogen sollen hier finanzielle Mittel zum Ausprobieren von Vorschlägen kurzfristig bereitstehen. Über eine Plattform können dabei auch Bürgerinnen und Bürger Vorschläge einreichen und über deren Umsetzung beispielsweise über Umfragen mitentscheiden.