Zwölf Ansätze für die zivile Bekämpfung von Fluchtursachen

In den vergangenen Jahren waren mehr Menschen weltweit auf der Flucht als zu keinem anderen Zeitpunkt seit dem Zweiten Weltkrieg. Sie fliehen vor Krieg, Gewalt und Unterdrückung, aber auch vor Armut und absoluter Perspektivlosigkeit. In der Hoffnung auf Sicherheit und die Chance auf ein besseres Leben richtet sich der Blick und Weg vieler Flüchtlinge nach Europa, Nordamerika und Ozeanien. Die Debatte in Deutschland und der Europäischen Union (EU) konzentriert sich derweil auf die innenpolitischen Folgen von Flucht und Vertreibung sowie entsprechende Maßnahmenvorschläge. Dabei sind menschenwürdige Lebensbedingungen und Zukunftsperspektiven Voraussetzung dafür, dass Kriege unwahrscheinlicher werden und wirtschaftliche Beweggründe für Flucht seltener werden. Jeder Mensch, der in seiner Heimat bleiben und dort ein selbstbestimmtes, freies Leben führen kann, begibt sich nicht in die Gefahren der Flucht und senkt gleichzeitig die Belastung für Staat und Gesellschaft in den Zielländern.

Deshalb fordern die Freien Demokraten Berlin die Umsetzung der folgenden zwölf Punkte im Kampf gegen Fluchtursachen:

  1. Deutschland und die EU haben sich den Sustainable Development Goals (SDGs) und dem Klimaabkommen von Paris verpflichtet. Diese Verpflichtungen müssen schnell und ohne Abstriche erfüllt werden, um die negativen Einflüsse von Armut, Unterentwicklung und Klimawandel zu minimieren. Die Bekämpfung des Klimawandels ist dabei keine wirtschaftliche Bürde. Insbesondere die Förderung von Erneuerbaren Energien sind auch eine Chance einen Wachstumspfad für Entwicklungs- und Schwellenländern mit guten Bedingungen (Sonne, Wind, Berge) für erneuerbare Energien zu identifizieren. Die effiziente Nutzung von Ressourcen etwa im Bereich der Wasseraufbereitung oder Recycling nutzt der Umwelt und den Menschen.
  2. Die bisherigen Anstrengungen zur Orientierung der Entwicklungszusammenarbeit an Effektivitätskriterien insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung der SDGs zu verbessern. Jede aus öffentlichen Mitteln geförderte Maßnahme muss sich an dem Ziel orientieren, Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Dafür sind eine stetige Evaluation sowie die Entwicklung neuer Instrumente notwendig. Nur in diesem Rahmen kann die notwendige Anhebung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen der Umsetzung des 0,7% Ziels der Vereinten Nationen auch tatsächlich Menschen helfen. Um Synergieeffekte zu nutzen ist mittelfristig außerdem die Bündelung und vollständige Kompetenzverschiebung der Entwicklungszusammenarbeit auf EU-Ebene notwendig.
  3. Eine Neuorientierung der Vergabepraktiken in den Zielländern, der Konditionalität bei Finanzierungsprogrammen und der Projektauswahl strikt an den tatsächlichen Bedürfnissen vor Ort. Dazu gehört auch die Orientierung an der Einhaltung von Menschenrechten, den Prinzipien der Korruptionsverhütung und Good Governance. In der Entwicklungszusammenarbeit sind in den Partnerländern grundsätzlich zivilgesellschaftliche Akteure aus dem Empfängerland zu bevorzugen. Die genaue Verteilung muss in Partnerländern entsprechend der lokalen Erfordernisse und Entwicklungsperspektiven entschieden werden. Dabei sind auch Belastungen durch die Aufnahme, Rückübernahme und Integration von Flüchtlingen zu berücksichtigen. Den Gebrauch der Entwicklungszusammenarbeit als Belohnungssystem für sachfremde diplomatische Deals lehnen wir ab. Direkte Budgethilfen für Staaten müssen auslaufen.
  4. Den stärkeren Einsatz für globalen Freihandel. Nach dem Scheitern der Doha-Entwicklungsrunde muss die Europäische Union eine neue Handelsrunde im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) vorantreiben. Damit mehr Menschen von Freihandel profitieren können, müssen mehr Optionen für die einseitige Marktöffnung für Entwicklungsländer geschaffen werden. Freihandelsverträge können und sollen dabei keine multilateralen Regelungen im Rahmen der Welthandelsorganisation ersetzen, bilden richtig ausgestaltet aber einen möglichen Zwischenschritt auf dem Weg dorthin. Die nichttarifären Handelshemmnisse sollen seitens der EU gegenüber Entwicklungsländern weitestgehend aufgehoben werden.
  5. Den Abbau der EU-Agrarsubventionen im kommenden Mehrjährigen Finanzrahmen. Durch die Agrarsubventionen können Landwirte und Agrarunternehmer Produkte in Entwicklungsländern unter Weltmarktniveau vermarkten. Dies zerstört die dort heimische Agrarindustrie und verhindert den Übergang von der Subsistenzwirtschaft zu verkaufsorientierten Geschäftsmodellen. Die ländliche Bevölkerung wird dadurch förmlich zu Aufbruch und Flucht gezwungen. Darüber hinaus muss die EU sich dafür einsetzen, dass auch Direktzahlungen in der Welthandelsorganisation (WTO) als handelsverzerrend klassifiziert werden.
  6. Die Erarbeitung unkonventioneller wirtschaftlicher Entwicklungsmodelle in und mit den Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit. Der klassische Entwicklungspfad aus Agrar- über Industrie- zu Dienstleistungsgesellschaft ist im Internetzeitalter längst nicht mehr ohne Alternative. Etwa die Versorgung der Menschen in Entwicklungsländern mit Mobiltelefon- und Internetverbindungen eröffnet alternative Entwicklungspfade. Um mehr private Unternehmen die Möglichkeit zu geben in Entwicklungsländern zu investieren möchten wir durch die vorhandenen öffentlichen, institutionellen Anleger (z.B. KfW, EIB) eine Unterstützungs- und Anreizstruktur für die Privatwirtschaft schaffen. In Ergänzung zu bestehenden Instrumenten wie zum Beispiel den Hermes-Bürgerschaften setzen wir uns dafür ein durch neue Strukturen das Risiko für Investitionen zu verringern. Bei der Förderung von kleinen und mittelständischen Unternehmen, kommt insbesondere Strukturen für die Erleichterung der Unternehmungsgründung etwa durch StartUp-Inkubatoren eine besondere Bedeutung zu.
  7. Besondere Anstrengungen zum besseren Schutz von Frauen und Mädchen. Sie werden besonders häufig Opfer von sexueller und sexualisierter Gewalt, Missbrauch und Diskriminierung. Bildung, Selbstbestimmung und die Möglichkeit einer eigenen Erwerbstätigkeit für Frauen und Mädchen müssen mehr als bisher Teil der Entwicklungszusammenarbeit werden. Hier können sexuelle Aufklärung und Mittel zur Geburtenkontrolle einen wichtigen Beitrag leiste, um für Wahlfreiheit und ein selbstbestimmtes, freies Leben zu sorgen. Im Konfliktfall muss dieser Personengruppe eine besondere Aufmerksamkeit zukommen, um sie vor Vergewaltigungen, Entführung und Missbrauch zu bewahren beziehungsweise nach solchen traumatisierenden Erlebnissen zu betreuen.
  8. Die Arbeitsbedingungen müssen weltweit nachhaltig verbessert und mit höheren Standards versehen werden. Das Aufkommen von sogenannten Fairtrade-Produkten konnte bislang nur punktuell zu Verbesserungen führen. Statt vergeblich auf zunehmenden Erfolg dieses Ansatzes zu hoffen, müssen verstärkt parallele Maßnahmen vor Ort ergriffen werden. Besondere Anforderungen müssen dabei an im Ausland tätige westliche Unternehmen gestellt werden. Dabei kann die europäische Entwicklungszusammenarbeit Projekte mit dem Ziel besserer Arbeitnehmerrechte (z.B. Gewerkschaften) sowohl finanziell als auch mit Knowhow unterstützen. Sollte auch weiterhin keine Verbesserung erkennbar sein, muss über Importverbote im Rahmen auf Basis von neuen Regelungen der Welthandelsorganisation für Produkte aus ausbeuterischer Produktion, Kinderarbeit oder Lohnsklaverei nachgedacht werden. Dabei dürfen aber nicht einfach westliche Standards ohne Anpassung übertragen werden. Vielmehr müssen an den jeweiligen Einzelfall angepasste Verbesserungen der Arbeitsbedingungen gefunden werden, die dem Spannungsfeld aus Rahmenbedingungen vor Ort und einer signifikanten Verbesserung der Lebensbedingungen gerecht werden.
  9. Multilaterale Organisationen wie das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR), das World Food Programm (WFP), das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) und andere in der internationalen Flüchtlingsversorgung tätigen Organisationen müssen von den Staaten mit ausreichend Mitteln versehen werden, um Flüchtlinge heimatnah, menschenwürdig unterzubringen und zu versorgen. Deutschland und die EU müssen ihren fälligen Kontributionen unverzüglich nachkommen und sollten als Vorbild vorangehen, indem sie diese signifikant erhöhen.
  10. Europa wird die Flüchtlingsfrage nur in enger Kooperation mit seinen Nachbarregionen lösen können. In solchen Staaten, die schon heute eine besondere Verantwortung bei der Aufnahme von Flüchtlingen übernehmen (Libanon, Jordanien etc.), wollen wir bei der Schaffung von Sonderwirtschaftszonen unterstützen, um die Situation der Flüchtlinge zu verbessern. Dort sollen Investitionen aus der EU vereinfacht werden und Handelshemmnisse für die Ausfuhr in die EU sofort abgeschafft werden. Gleichzeitig muss jedoch sichergestellt werden, dass dort internationale Menschen- und Arbeitsstandards eingehalten werden.
  11. Eine Verbesserung der Situation von Flüchtlingen kann durch eine Verbesserung der regulären Migration erreicht werden. Deutschland und die EU müssen die Anzahl an Arbeitsmarkt- und Ausbildungsvisa erhöhen. Dazu muss bereits in den betroffenen Staaten über Wege regulärer Migration aufgeklärt und geworben werden. Künftig sollen alle Botschaften der EU in Transit- und Herkunftsländern bereits die Chancen einer Anerkennung als Flüchtling oder einer regulären Einreise prüfen können. Mit einem humanitären Visum oder einem Arbeitsmarkt- und Ausbildungsvisum können Menschen so direkt in die EU einreisen. Allerdings werden die Flüchtlinge und migrationswilligen Menschen mit Fingerabdruck registriert, Um an diesem Vorabprüfungsprozess teilnehmen zu können. Im Falle einer Absage werden die Antragssteller darüber aufgeklärt, dass eine irreguläre Einreise und eine weitere Antragsstellung nicht möglich ist. Auch außerhalb der Botschaften sollen Information über Risiken von Flucht in Zielländern verbreitet werden.
  12. Bildung ist der Schlüssel zur Selbstbestimmung. Sowohl in Flüchtlingslagern als auch in den Herkunftsländern können zielgerichtete Bildungsangebote die Notwendigkeit einer Flucht senken und Chancen für Menschen in benachteiligten Regionen vergrößern. Dabei muss die Unterstützung von Bildungsangebote auf die Bedürfnisse vor Ort abgestimmt sein. Unterstützung beim Aufbau von Institutionen im Bereich der dualen Ausbildung sowie von Studienangeboten sind nur dann wirksam, wenn sie an die Strukturen der lokalen Wirtschaft, deren Entwicklungsmöglichkeiten und das Angebot an Arbeitsplätzen angepasst sind. Mit koordinierten Programmen, die sowohl Ausbildung als auch die Unterstützung beim Aufbau und die Ansiedlung von Unternehmen umfassen, kann sowohl der Abwanderung von gut ausgebildeten Arbeitskräften als auch dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden.